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Zahl und Zeit: Becker zwischen Nietzsche und Heidegger
Antonello Giugliano

Die mantische Phänomenologie verstand es O. Becker als eine unumgehbare Integration der formalen, bzw. transzendental-konstitutiven Phänomenologie Husserls und der hermeneutischen Phänomenologie Heideggers. "Der Übergang von der 'formalen' Phänomenologie (Husserl) zur 'hermeneutischen' Phänomenologie (Heidegger) besteht also in der Zuspitzung des 'reinen Bewußtseins' zum 'historischen Dasein'; dies bedeutet eine Verengung, aber auch eine Konkretisierung" schrieb 1927 Becker in seinem Hauptwerk Mathematische Existenz [1][1].

Dies bedeutete eine Verengung darum, weil das Formale, auch und gerade als Form einer Konkretion, im Zugang zum Phänomen selbst, also wegen der Komplettheit des Zuganges zur Phänomenalität in ihrer Ganzheit, durchaus nicht außer Acht gelassen werden kann. Aber dieses Formale muß das eigentliche Formale der geschichtlichen Existenz sein. Deshalb die Aufgabe jener versuchten phänomenologischen Integration ist es, das Formale des daseinsmäßigen Geschichtlichen zu thematisieren und darzustellen, und zwar eben vom Standpunkt des geschichtlichen Daseins und dessen konstitutiven Horizontes aus: die Zeit und die modi, die zeitlichen Modalitäten, der Zeitigung ihrer Zeitlichkeit. "Es handelt sich nun darum, das Formale dieser historischen Zeitlichkeit herauszuheben"[2][2].

Der charakteristische Zug der geschichtlichen Zeitlichkeit besteht in ihrer Einmaligkeit, Unwiederholbarkeit, Irrepetibilität, also Zukünftigkeit. Aber das noch mehr Charakteristische dieses Zuges ist die Tatsache, daß die Möglichkeit, das heißt die Zeitigung jener eksistenzialen Einmaligkeit, Unwiederholbarkeit, Irrepetibilität und Irreversibilität der geschichtlichen Zeitlichkeit des Daseins sich immer noch wiederholt, sie kehrt immer wieder.

Diese unendlich wiederkehrende Iteration der Zeitigung der geschichtlichen Zeitlichkeit selbst bedeutet nicht nur, daß die geschichtliche Zeitlichkeit des eksistenzialen "Vorbei"[3][3] immer zukünftig, futurativ, neu und anders ist, sondern auch und vor allem, daß sie zugleich in ihrem tiefsten Kern ein immer gleich und notwendig wiederkehrendes Moment enthält: die ewige Wiederkehr der gleichen Zeitigung selbst; diese aber, als solche, bedeutet zugleich Iteration ihrer selbst als ewige Wiederkehr des Gleichen und zwar als ewige Wiederkehr der gleichen Möglichkeit/Zukünftigkeit des Einmaligen, des Ungleichen (des Nämlichen)[4][4]: "Das Kennzeichnende der Naturzeit gegenüber der historischen Zeit ist das Bestehen der Möglichkeit der Wiederkehr des Gleichen, des Sich-Wiederholens des gleichen Ereignisses. Dagegen kennt die historische Zeit die Wiederkehr nicht; man könnte zugespitzt sagen: (echte) Zukunft schließt (echte) Wiederkunft aus. Indem die Dinge stets auf mich zu-kommen d. h. auf mein Dasein in seiner einmaligen Jeweiligkeit gewissermaßen zugespitzt sind, können sie nicht in der gleichen Weise wiederkommen, denn damit würden sie ihre eindeutige Zugespitztheit verlieren. Damit ist (in der historischen Zeit) genau genommen auch die Kategorie des Gleichen ausgeschlossen, es gibt dort nur Nämliches. (Identisches im strengen Sinn). Die Zeit ist beide Male in ganz verschiedener Weise principium individuationis. Naturzeit ermöglicht das Wiederauftreten des genau Gleichen (homoeidés) 'zu verschiedenen Zeiten'. [...] Dagegen individuiert die historische Zeit durchaus nicht in dieser Weise der 'Vereinzelung' ganz gleicher, nicht mehr spezifizierbarer Gegenstände. Sie individuiert nur so, daß jedes Individuum jeweils auf seinen eigenen Tod verwiesen wird, für den es sich nicht irgendwie vertreten lassen kann"[5][5].

Das gilt aber auch und vor allem für die Selbstindividuation des Urindividuums, nämlich für die 'Individuität' der Zeit selbst. Darum, so schreibt Becker 1930 in seiner Abhandlung Zur Logik der Modalitäten, "darf man nicht aus dem Auge verlieren, welche 'Zeit' gemeint ist. Man muß streng festhalten, daß es sich um die ursprüngliche Zeitlichkeit, die 'Zeitigung' der Zeit selbst handelt"[6][6].

Die Zeitigung als solche erscheint also an sich zweideutig: sie erscheint identisch und zugleich verschieden, notwendig und zugleich ermöglichend; deshalb kann sie sich als Natur und/oder als Geschichte zugleich zeitigen; das bedeutet, daß sie als reine, formale, unendliche Zeitigung in sich selbst unrein, material, endlich erscheint. Das, was in diesem Sinn, als unendliche Wiederholung einer einmaligen Endlichkeit, un-endlich ist, ist eigentlich in der mathematischen Sprache überendlich, 'transfinit'.

Eine "transfinite Iteration"[7][7] ('Null', Zahl, Reihung usw.)[8][8]: das kennzeichnet das logische Wesen der Zahl. Dieses Wesen aber ist eigentlich 'a-logisch', weil das Wesen der Zahl als transfinite Iteration, also als immer wiederkehrende intuitionistische 'Konstruktion'[9][9] (d. h.: die kínesis von der 'Null' - nulla figura, cifra, zero, as-sifr, sunya-bindu [Leer-punkt][10][10] - zur Zahl - Figur, Ziffer -, und so immer wieder), der gleichen und zugleich ungleichen/nämlichen Eins in der unformalen, widerspruchsvollen Struktur des Selbsterscheinens der Zeitigung der Zeitlichkeit der Zeit gehört: und zwar in jener unmenschlichen Subjektität, die urek-statisch immer noch und immer wieder in sich als außer sich erscheinend an sich/ihr selbst erscheint (zugleich als Gegenwärtigkeit der Gewesenheit und der Zukünftigkeit, als Gewesenheit der Gegenwärtigkeit und der Zukünftigkeit, als Zukünftigkeit der Gewesenheit und der Gegenwärtigkeit usw.)

"Damit entscheidet die phänomenologische Analyse als hermeneutische, d. h. als auslegende auf das Dasein hin, die Streitfrage der Definition der mathematischen Existenz zugunsten des Intuitionismus. Denn die intuitionistische Forderung, jeder mathematisch existente Gegenstand müsse durch eine in concreto und de facto vollziehbare Konstruktion 'dargestellt' werden können [...] enthält nichts anderes als das Postulat: alle mathematische Gegenstände sollen durch faktisch vollziehbare Synthesen erreicht werden können. Und das besagt, eigentlicher ausgedrückt: Echte ('existente'), mathematische Phänomene 'sind' nur in faktisch vollziehbaren Syntaxen. [...] Dadurch, daß sich aus der Eigenart der mathematischen Phänomene die Notwendigkeit ergibt, den Vollzug in den Mittelpunkt zu stellen, ist das eigene (historische) menschliche Dasein als ausschlaggebend hingestellt. Die Mathematik erhält damit eine 'anthropologische' Fundierung. Nicht ein ordnungsmäßig gegliedertes, 'objektives', im traditionellen Sinn 'an sich' seiendes Universum [...], sondern das faktische Leben des Menschen, das jeweils eigene Leben des Einzelnen (oder wenigstens der jeweiligen 'Generation') ist das ontische Fundament, auch für das Mathematische"[11][11].

Die Zahl, bzw. "das Zählen ist [...] bedingt durch die wesentliche Zeitgebundenheit des Menschen (genauer seine 'historische' Befangenheit), wie ja auch schon Kant die Zahl auf die Zeit zurückgeführt hat, d. h. auf eine nach ihm spezifisch menschliche Anschauungsform"[12][12].

Die transfinite Iteration der Zahl ist also gerade in der Struktur der geschichtlichen Zeit des Daseins verwurzelt: die eigentliche mathematische Existenz ist die Eksistenz des Daseins, das immer schon und immer wieder von seinem einmaligen und zugleich wiederkehrenden Vorbei weiß: seine Zeitlichkeit, die Iteration seiner Zeitlichkeit, ist zugleich nicht die seine, sondern die Iteration der 'Individuität' der Zeitigung selbst, die aber zunächst und zumeist als bloße Verfallenheit des Daseins d. h. als Natur, als Man etc. erscheint, also "der Ursprung der Zeit, die 'vollzugsmäßige' Weise ihres eigentümlichen 'Sich-Zeitigens' "[13][13] wird mit einer Weise der Zeitigung der Zeitlichkeit der Zeit verwechselt. Und die weitere Paradoxie ist es, daß dieses changeling auch und vor allem für den daseinsmäßigen Vollzug gilt, weil "das Grundphänomen 'Ich kann immer wieder', diejenige dynamis, die sich auf das 'pàlin kài pàlin' bezieht"[14][14], bedeutet die ek-statische, 'oblique' Subjektität der Zeitigung selbst.

Man kann also, "in Analogie zu einem bekannten Scherzwort, geradezu sagen: 'existentia a non existendo': die Idee der Existenz in sich selbst enthält schon die Abwehr dagegen, die 'existente' Gegenständlichkeit auf ihr Sein, ihre eigentliche Existenz hin zu befragen. Diese so paradoxe Sachlage wird verständlich, wenn man sie aus dem Gesichtspunkt der hermeneutischen Phänomenologie (Heidegger) betrachtet"[15][15].

Die Wiederholung des Gleichen ermöglicht die Wiederholung des Einmaligen; in der philosophischen Sprache des späteren Becker: die paraeksistenziale Getragenheit des Dawesens ermöglicht die eksistenziale Geworfenheit des Daseins[16][16]. Die Paradoxie nun ist es aber, daß wieder nur die Ek-sistenz, die Offenheit des Daseins das Erscheinen der das Dasein selbst ermöglichenden Immanenz der dawesenden Weltzeit ermöglicht. Diese Paradoxie hängt von der paradoxalen Bedeutung des Da, das zugleich menschlich und un-menschlich 'erscheint', bzw. nicht nur menschlich, allzumenschlich 'ist', sondern auch durchaus un-menschlich, als unendliche Iteration einer reinen Offenheit ohne Menschen 'anwest'[17][17].

Und dieselbe Paradoxie klingt aber anders wenn man auch daran denkt, daß hier Becker nicht nur unter dem Einfluß von Heideggers hermeneutischen Phänomenologie spricht, sondern auch unter dem meist unausgesprochenen Einfluß oder meist neopythagoreisch[18][18] verschleierten Zauber und Bann der uralten Lehre des iranischen, bzw. zarathushtrischen 'Zurwanismus' (aus dem Zeit-Gott Zurwan, der grenzenlos-begrenzt, unendlich-endlich immer wieder ist)[19][19].

So für "die Behauptung des prähistorischen bzw. subhistorischen Ursprungs mathematischer Erkenntnis"[20][20], nämlich für die gesamte Spannung zwischen Historischen und Nicht-historischen, "wesentlich sind vor allem die Zeitvorstellungen, das Verhältnis von zyklischer und einmaliger Zeitlichkeit u. ä. - Nach neueren Forschungen liegen (vielleicht!) altiranischen Vorstellungen [...] zugrunde. [...] Für die altiranischen Zeitvorstellungen vgl. Heinrich Junker, Über iranische Quellen der hellenistischen Aion-Vorstellungen, Vorträge der Bibliothek Warburg 1921/22 (Leipzig und Berlin 1923). Ferner: R.  Reitzenstein, Das iranische Erlösungsmysterium (Bonn 1921). - Für das primitive Zeitbewußtsein: Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen II. Teil: das mythische Denken (Berlin 1925) S. 132 ff."[21][21], (d. h. der Teil über den mythischen Zeitbegriff; hier im Werk Cassirers liegt der Abschnitt über die unendliche Zeit, Zruvan akarano, die sich in sich selber etzweit, und die Erwähnung des oben genannten Buches von H. Junker; und die Seiten über die Gestaltung der Zeit im mythischen und religiösen Bewußtsein; sowie über die mythische Zahl und das System der 'heiligen Zahlen')[22][22].

Und am Schluß bemerkte Becker: "(Die Darstellung Cassirers enthält wichtiges Material, das aber noch nicht weit genug interpretiert ist. Hier liegt noch eine schwierige ungelöste Aufgabe vor)"[23][23].

Das klingt sicher anders im Vergleich zum kritischen Ergebnis der wenig späteren (1928) Heideggerschen Besprechung[24][24] desselben Bandes des Cassirerschen systematischen Hauptwerkes.

Schon der junge Heidegger aber, in seiner Kritik der Jaspersschen Weltanschauungspsychologie, hatte die archontische Aufgabe der Philosophie als radikalen Phänomenologie darin gesehen, in dem Vollzug einer strengen Analytik und Begriffsbildung des Unendlichen, bzw. der unendlichen Wiederkehr des endlichen Wesens der Zeit, des Vorbei, also in der Effabilität des traditionell selbstverständlichen Wortes "individuum est ineffabile" (bzw. in seiner extensiv und intensiv unübersehbaren bloßen Endlosigkeit). In diesem Sinne schrieb Heidegger gegen den 'oberflächlichen' Unendlichkeitsbegriff von Jaspers: "Und es wäre an der Zeit, statt sich mit diesem 'Ladenhüter' eine tiefsinnige philosophische Geste zu geben, sofern man mit der Rede des Nichtausdrückenkönnens leicht den Anschein erwecken kann, wirklich in unausdrückbare Dimensionen gesehen zu haben, echte Probleme aufzusuchen und zu bearbeiten"[25][25].

Aber der Unendlichkeitsbegriff von Jaspers erschien so 'oberflächlich' nur deshalb, weil er aus Nietzsches Denken stammte, und zwar aus dem Begriff/Unbegriff der ewigen Wiederkehr des Selbsterscheinens des 'Scheins' in sich selbst als immer wieder außer sich erscheinend, also als immer wieder ek-statisch.

Unter "Schein" verstand Nietzsche die reine Zeitigung der Zeitigung selbst: dieser primordialen und zugleich alltäglichen Iteration gegenüber sind alle andere mögliche ontologische und axiologische Strukturen (Sein, Zahl, Wert, auch die historische und/oder unhistorische Zeit)  nur mehr etwas bloß derivativ[26][26].

Obwohl Becker in seiner Schrift über die Mathematische Existenz Nietzsche oft erwähnt (vor allem vermittels der von Husserl nicht aufgenommenen aber ausgezeichneten Dissertation über Nietzsche von K. Löwith[27][27], dem "bevorzugten Schüler Heideggers"[28][28]) bleibt seine Nietzsche-Auffassung mehr von Schopenhauer[29][29] als von Nietzsche selbst bestimmt. Die Annährung Beckers an Nietzsche war sehr problematisch, wie gerade sein - gegenüber Löwiths radikaler Thematisierung der ewigen Wiederkehr des Gleichen - 'unphilosophischer' Aufsatz von 1936 über Nietzsches Beweise für seine Lehre von der ewigen Wiederkunft[30][30] erweist.

Andererseits aber kommt in den ästhetischen Schriften Beckers (nicht nur in dem Beitrag von 1929 zur Husserl-Festschrift[31][31], sondern auch und vor allem in dem eigentümlichen Beitrag von 1958 zur Rothacker-Festschrift[32][32]) seine innerste philosophische Wahlverwandschaft mit Nietzsches Denken vom Selbsterscheinen des "Scheins" am besten zum Vorschein. In der kleinen 'metaphysischen' Abhandlung von 1958 bestätigt Becker erst recht seine Thematisierung des "hyperontologischen" Schein-Begriffs, das heißt, "daß der ästhetische Gegenstand ganz und gar in seiner phänomenalen Oberfläche ist; das Ästhetische ist das Phänomen als solches, Erscheinung als Erscheinung; seine Seinsart ist das Erscheinen selbst. Damit ist es aber in gewisser Hinsicht 'Schein'; der Griff hinter die schöne Erscheinung greift ins Leere. Ebenso ist es aber auch darin gerade von wahrhaftiger Wirklichkeit, daß der Schein in dem Phänomen der Zerbrechlichkeit als solcher erscheint"[33][33].

Heideggers Dyade 'Sein und Zeit' war eine radikale Destruktion der neukantianischen Dyaden: von Rickerts Dyade 'Sein und Wert' bzw. 'Faktizität und Geltung' (diese Dyade auch als Wirkung der Logischen Untersuchungen Husserls über Rickert verstanden[34][34]), und von Cassirers 'Sein und Sollen' der symbolischen Formen (so Heidegger in einer Notiz von 1931)[35][35]. Becker seinerseits pythagorisierte zu 'Zahl und Zeit' die Heideggersche Dyade[36][36]. In beiden Fälle, obwohl Sein und Zahl zur Zeit zurückgeführt sind, fungiert aber die Zeit nicht für die jeweilige Zeitigung ihrer selbst sondern für das Sein, bzw. für die Zahl[37][37]. In Nietzsche zeitigt die Zeitigung die Zeitigung selbst, sie iteriert das Selbsterscheinen des Scheins. Also die Spannungsweite von 'Sein und Zeit' geht von Beckers 'Zahl und Zeit' zu Nietzsches 'Schein und Zeit' (über Rickerts Dyade: 'Sein und Wert', in der wie schon angedeutet die Zahlproblematik, d. h. die Problematik der Alogizität der Zahl, miteingeschlossen war, wie in Rickerts Aufsatz von 1911/12 und 1924 über die Logik des Zahlbegriffs)[38][38].

Die Dyadik dieser Dyaden ist im 'Schein', bzw. im Selbsterscheinen des Scheins verwurzelt. Mit ähnlichen Gesinnung hat man auch von 'Komplementarität' gesprochen.

In seinen letzteren Schriften über P. Celan hat O. Pöggeler u. a. geschrieben: "Oskar Becker radikalisierte philosophisch diesen Ansatz (so in seinem Buch Größe und Grenze der Mathematik, Freiburg/München 1959). Nach dieser Auffassung gilt die Komplementarität überhaupt  für unseren Wirklichkeitszugang: Etwas kann uns als eine Natur begegnen, die in ihrem bleibenden Wesen ruht und durch mathematische Gebilde erklärt oder 'erdeutet' wird; etwas läßt sich aber auch 'verstehen' als das, was in die geschichtliche Welt und zu unserem Geschichtlich-Sein gehört. Der frühe Schelling hat nach Becker gezeigt, daß im ästhetischen Akt sich Natur und Freiheit oder Geschichte durchdringen (im Genie des Künstlers spricht die Natur und muß sich mit seinem Können und seiner Freiheit einigen). Diese Auffassung verband Becker 1958 mit Nervals Gedicht vom entwurzelten Ritter, der zweimal den Acheron durchquert"[39][39]. [...] "Nervals 'Aquitanenfürst vom Turm' durchquert zweimal den Acheron; auf der Leier des Orpheus spielt er den Seufzer der Heiligen und den Schrei der Feen. Nach Becker versteht der Mensch sich (wie Heidegger zeigt) geschichtlich; aber die 'Wesen' der Natur (personlos wie Feen und Wassermänner) kehren immer wieder und gleichen in ihrer Struktur dem absoluten Geist, etwa den geschichtsfernen Symmetrien eines mathematischen Zahlengefüges. Der Künstler vermittelt alle diese Bereiche"[40][40].

Aber das, was jede dyadische Komplementarität ermöglicht, ist das, was auch den Seufzer der Heiligen und den Schrei der Feen und Wassermänner, d. h. die doppelte Durchquerung des Acherons ermöglicht: das ek-statische Selbsterscheinen des Scheins; denn sang el Desdichado[41][41] Nervals der Schimäre, "Dans la nuit du tombeau, toi qui m'as consolé", auch: "Rends-moi le Pausilippe et la mer d'Italie, / La fleur qui plaisait tant à mon cour désolé, / Et la treille où le Pampre à la Rose s'allie". ("In der Nacht des Grabes, du, die du mich getröstet hast, / Gib mir das Posilypp [die pausôlé [tôn] lypôn] und Italiens Meer zurück, / Die Blume, die meinem verwüsteten Herzen soviel ansprach, / Und den Laube, wo die Weintraub zur Rose sich gesellt)[42][42]. Nämlich der Un-ort, wie die Blume, der Laube, die Rose, wo plötzlich und immer wieder eins zu zwei wird. In diesem unheimlichen Gedicht[43][43] Nervals, des französischen Vorläufers Nietzsches, ist das Leben der siegreich doppelte bzw. gleichzeitige Zugang zu den hyperontologischen, bzw. urzeitigenden 'Mütter' (des Lebens), in diesem Sinne ist jener Zugang gleich wie einer Höllenfahrt: einerseits die Einfahrt in den Ursprung (in den 'Schein') der Wiederholung, andererseits wieder die Einfahrt in den Ursprung (in den 'Schein') der Einmaligkeit. Diese Höllenfahrt ist eine doppelte, zweimalige ("deux fois"), aber eine solche gleichzeitig. Es geht denn eigentlich immer wieder darum, um den Zugang zum 'Schein' als solchen, d. h. zur Quelle der Wiederholung des Einmaligen und zugleich zur Quelle der Wiederholbarkeit (aber also auch Irrepetibilität) jener Wiederholung (ohne dieser gleichzeitig doppelte siegreiche Zugang - zur Einmaligkeit der Widerholung und simultan zur Wiederholung des Einmaligkeit - kann das Leben nicht sich selbst, d. h. ek-statisch, sein, bzw. leben/siegen, 'scheinen'). Mit der mathematisch-transfiniten Formel: Null - Zahl - Reihung (0 - n - ~).


[1][1] O. BECKER, Mathematische Existenz. Untersuchungen zur Logik und Ontologie mathematischer Phänomene, in: "Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung", Bd. VIII (1927), S. 440-809, hier S. 755.

[2][2] A. a. O., S. 666.

[3][3] Vgl. M. HEIDEGGER, Der Begriff der Zeit (1924), hrsg. von H. Tietjen, Tübingen, Niemeyer, 1989, S. 17.

[4][4] Vgl. O. BECKER, Mathematische Existenz, cit., S. 758, Anm. 1: "'Wiederkehr' ist nicht gleichbedeutend mit echter 'Wiederholung', wie schon das Phänomen der musikalischen 'Reprise' zeigt".

[5][5] A. a. O., S. 664-666.

[6][6] O. BECKER, Zur Logik der Modalitäten, in: "Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung", Bd. XI (1930), S. 497-548, hier S. 543.

[7][7] O. BECKER, Mathematische Existenz, cit., S. 546.

[8][8] Vgl. darüber E. CASSIRER, Substanzbegriff und Funktionsbegriff. Untersuchungen über die Grundfragen der Erkenntniskritik (1910), Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 71994, S. 57-87; und K. GÖDEL, What is Cantor's Continuum Problem? in: P. BENACERRAF and H. PUTNAM (Eds.), Philosophy of Mathematics, Englewood Cliffs, N.J., Prentice-Hall Inc., 1964, S. 258-273.

[9][9] Vgl. O. BECKER, Grundlagen der Mathematik in geschichtlicher Entwicklung, zweite , erw. Aufl., Freiburg/München, Alber, 1964, S. 329: "Charakteristisch ist für Brouwer vor allem die Ablehnung des logischen Satzes vom ausgeschlossenen Dritten in seiner Anwendung auf unendliche Mengen, die Forderung der Konstruktion als alleinigen Definitionsmittels von Mengen und Grundlage jedes Existenzbeweises und die Begründung der gesamten Mathematik auf die Urintuition der Zahlenreihe, die als in der Zeit werdend betrachtet wird. Damit hängt sein Begriff der 'Wahlfolge' zusammen, einer unbegrenzten Folge frei wählbarer Zahlen, über die trotzdem u. U. mathematische Aussagen gemacht werden können, ferner seine Auffassung des Kontinuums als eines Mediums freien Werdens. - Bemerkenswert ist auch der Ausspruch Brouwers: 'Die Mathematik ist mehr ein Tun als eine Lehre'".

[10][10] Vgl. K. MENNINGER, Zahlwort und Ziffer. Eine Kulturgeschichte der Zahl (1958), 3. Aufl., Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 1979, Bd. II, S. 213-218; und G. GIORELLO, Zero, in: Enciclopedia Einaudi, Torino, Einaudi, 1981, Bd. XIV, S. 1318-1353.

[11][11] O. BECKER, Mathematische Existenz, cit., S. 636. - Vgl. die wichtige kritische Anmerkung Cassirers über Beckers 'anthropologische' Fundierung der Mathematik und der mathematischen Existenz, in E. CASSIRER, Philosophie der symbolischen Formen. Dritter Teil: Phänomenologie der Erkenntnis (1929), Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 101994, S. 472-473, Anm. 1; und vgl. die antikritische Antwort Beckers an Cassirer in: O. BECKER, Zur Logik der Modalitäten (1930), cit., S. 531 ff. Siehe auch O. BECKER, Über den sogenanntnen "Anthropologismus" in der Philosophie der Mathematik (Eine Erwiderung in Sachen der "Matematischen Existenz"), in: "Philosophischer Anzeiger", 3 (1928/29), S. 369-387 (Erwiderung an M. Geiger).

[12][12] O. BECKER, Mathematische Existenz, cit., S. 637.

[13][13] O. BECKER, Zur Logik der Modalitäten, cit., S. 539, Anm. 1.

[14][14] A. a. O., S. 543.

[15][15] O. BECKER, Mathematische Existenz, cit., S. 629.

[16][16] Vgl. O. BECKER, Para-Existenz. Menschliches Dasein und Dawesen (1936), in: ID., Dasein und Dawesen. Gesammelte philosophische Aufsätze, Pfullingen, Neske, 1963, S. 67-102.

[17][17] Dreißig Jahre später wird Becker dieses rätselhafte Verhältnis so aussprechen: "Aber gibt es überhaupt streng genommen so etwas wie Da-Wesen? Ist nicht das Moment des Da, die 'Ex-sistenz', charakteristisch für das Sein, aber nicht für das Wesen? Nur das Sein will sich offenbaren, erscheint als solches im 'Lichte' der Wahrheit und kommt so in sein 'Da'. Aber das Wesen bleibt in sich beschlossen, auch wenn es 'an-west'. Ist hier nun nicht die geforderte Ebenbürtigkeit und Gleichberechtigung (Symmetrie) von Sein und Wesen an sich - nicht nur durch die notwendig schiefe (exzentrische) Stellung des Menschen - durchbrochen und aufgehoben)? Wir glauben es, trotz aller Bedenken, die man dagegen vorbringen kann, nicht. Denn in der 'An-wesung' des Wesens selbst liegt eine Weise des 'Da'. Anwesend sein bedeutet von innen her erleuchtet sein. Nicht so, daß das Erstrahlen dieses Lichts vom Menschen abhinge wie das Da-Sein. Aber doch so, daß der Mensch, als wesenhafter - nicht als seinshafter - dieses Licht sieht. Indessen ist es ohne letzte Bedeutung, ob er es sieht und daß er es sieht. Denn es leuchtet wie ein Leuchtfeuer, auch wenn kein Schiff vorüberfährt. Das Da im 'Da-wesen' bedeutet also vielleicht das Licht an sich, gleichgültig, ob es erblickt wird oder nicht", vgl. O. BECKER, Von der Abenteuerlichkeit des Künstlers und der vorsichtigen Verwegenheit des Philosophen, in: G. FUNKE (Hrsg.), Konkrete Vernunft. Festschrift für Erich Rothacker, Bonn, Bouvier, 1958, S. 25-38, hier S. 36, jetzt in: O. BECKER, Dasein und Dawesen (1963), cit., S. 103-126, hier S. 123 f.

[18][18] Vgl. O. BECKER, Die Aktualität des pythagoreischen Gedankens (1960), in: ID., Dasein und Dawesen, cit., S. 127-156.

[19][19] Vgl. zum Beispiel R. C. ZAEHNER, Zurvan: a Zoroastrian Dilemma, Oxford, Clarendon Press, 1955.

[20][20] O. BECKER, Mathematische Existenz, cit., S. 682.

[21][21] A. a. O., S. 682, Anm. 2.

[22][22] Vgl. E. CASSIRER, Philosophie der symbolischen Formen, Zweiter Teil: Das mythische Denken (1925), Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 91994, insbesondere S. 129-182.

[23][23] O. BECKER, Mathematische Existenz, cit., S. 682, Anm. 2. - Während bei Cassirer steht der Warburg-Kreis im Hintergrund, bei Becker steht O. SPENGLER, Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte (1918-1922, 1923), München, DTV, 101991, vgl. z. B. S. 75 ff. (über das Wesen der Zahl) und S. 847 ff. (über die 'magische' Zeit).

[24][24] Vgl. M. HEIDEGGER, Besprechung: Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen. 2. Teil: Das mythische Denken, Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1925, in: "Deutsche Literaturzeitung", N. F. 5, 1928, Heft 21, S. 1000-1012, jetzt in Anhang zu: ID., Kant und das Problem der Metaphysik (1929), fünfte, vermehrte Auflage, hrsg. von Fr.-W. von Herrmann, Frankfurt a./M., Klostermann, 1991, S. 255-270.

[25][25] M. HEIDEGGER, Anmerkungen zu Karl Jaspers "Psychologie der Weltanschauungen" (1919/21), in: ID., Wegmarken, Frankfurt a./M., Klostermann, 1978, S. 19.

[26][26] Vgl. Fr. NIETZSCHE, Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe, hrsg. von G. Colli und M. Montinari, München, DTV, + Berlin/New York, de Gruyter, 21988, Bd. 11, S. 654, Nr. 40 [53] (August-September 1885): "NB. Schein, wie ich es verstehe, ist die wirkliche und einzige Realität der Dinge, - das, dem alle vorhandenen Prädikate erst zukommen und welches verhältnismässig am besten noch mit allen, also auch den entgegengesetzten Prädikaten zu bezeichnen ist. Mit dem Worte ist aber Nichts weiter ausgedrückt, als seine Unzugänglichkeit für logischen Prozeduren und Distinktionen: also 'Schein' im Verhältniss zur 'logischen Wahrheit' - welche aber selber nur an einer imaginären Welt möglich ist. Ich setze also nicht 'Schein' in Gegensatz  zur 'Realität', sondern nehme umgekehrt Schein als die Realität, welche sichder Verwandlung in eine imaginative 'Wahrheitswelt' widersetzt. Ein bestimmter Name für diese Realität wäre 'der Wille zur Macht', nämlich von Innen her bezeichnet und nicht von seiner unfaßbaren flüssigen Protheus-Natur aus".

[27][27] Vgl. K. LÖWITH, Auslegung von Nietzsches Selbst-interpretation und von Nietzsches Interpretationen, Diss. München 1923, S. 5, Anm.: "Hier sei ein für alle mal bemerkt, dass sich die methodischen Grundgedanken dieses Versuchs aus dem Studium der Vorlesungen (1919-22)* Dr. M. Heideggers in Freiburg ergaben. [Ihm sei] (an dieser Stelle der Dank ausgesprochen für seine entscheidende [philosophische] Förderung; sie schliesst in sich die persönliche und wissen[schaftliche.]) Da seine Arbeiten noch nicht veröffentlicht sind, ist es unmöglich, im Einzelnen darauf zu verweisen". - * ebd., S. IX, Anm. 42: "Diese Vorlesungen betrafen folgende Themen: Das Wesen der Universität u. des akad. Studiums / Phänomenologie u. transcendentale Wertphilosophie / Hauptprobleme der Phänomenologie / Phänomenologie der Anschauung u. des Ausdrucks (Theorie der philos. Begriffsbildung) / Einleitg in die Phänomenol. der Religion (Interpret. des Galaterbriefs des Paulus) / Augustinus u. der Neuplatonismus (Interpretation des 10. Buchs der Confessiones) / Einleitg in die phänom. Interpretation des Aristoteles / Phänomenol. Interpretationen zu ausgewählten Kap. der Ontologie u. Logik des Aristoteles // Seminarübungen hatten z. T. entsprechend. Themen; ausserdem folgende: / Husserls logische Untersuchungen / Descartes Meditationen / Aristoteles de anima / Natorp allg. Psychologie". - Vgl. ähnlich O. BECKER, Mathematische Existenz, cit., S. 444: "Für die hermeneutischen, d. h. die wesentlich ontologischen Teile (insbesondere § 6 a, b und teilweise auch § 5 a und 6 c) gebührt mein Dank den bahnbrechenden Untersuchungen Heideggers. Sie konntnen im allgemeinen noch nicht in der jetzt vorliegenden, abschließenden Fassung, wie sie in Sein und Zeit sich darstellt, benutzt werden, sondern gehen auf Vorlesungen und Übungen vor allem seiner Freiburger Lehrtätigkeit 1919-1923 zurück. Trotzdem habe ich nachträglich einige wenige Einzelhinweise auf Sein und Zeit [...] hinzugefügt. Die hermeneutische Analyse der Zeitlichkeit ist nach einem im Juli 1924 in Marburg gehaltenen Vortrag dargestellt".

[28][28] O. PÖGGELER, Phänomenologische und philosophische Forschung bei Oskar Becker, Bonn, Bouvier, 2000, S. 19.

[29][29] Vgl. O. BECKER, Mathematische Existenz, cit., S. 665, Anm. 1: "Noch eine andere Stelle verdient angeführt zu werden [scil. aus: A. SCHOPENHAUER, Die Welt  als Wille und Vorstellung, II. Bd., Kap. 41]: 'Durchgängig und überall ist das echte Symbol der Natur der Kreis, weil er das Schema der Wiederkehr ist: Diese ist in der Tat die allgemeine Form der Natur, welche sie in allem durchführt, vom Laufe der Gestirne an bis zum Tod und der Entstehung organischer Wesen, und wodurch allein in dem rastlosen Strome der Zeit und ihres Inhalts doch ein bestehendes Dasein, d. i. eine Natur, möglich wird'.  Die Vorstellung dieser Wiederkehr des Gleichen ist bekanntlich fast allgemein antiker Glaube [...]. Nietzsche hat in seiner Lehre von der 'ewigen Wiederkunft' diese uralten Motive wieder aufgenommen".

[30][30] Vgl. O. BECKER, Nietzsches Beweise für seine Lehre der ewigen Wiederkunft (1936), in: ID., Dasein und Dawesen. Gesammelte philosophische Aufsätze (1963), cit., S. 41-66.

[31][31] Vgl. O. BECKER, Von der Hinfälligkeit des Schönen und der Abenteuerlichkeit des Künstlers. Eine ontologische Untersuchung im ästhetischen Phänomenbereich (1929), in: ID., Dasein und Dawesen, cit., S. 11-40.

[32][32] Vgl. O. BECKER, Von der Abenteuerlichkeit des Künstlers und der vorsichtigen Verwegenheit des Philosophen (1958), in: ID., Dasein und Dawesen, cit., S. 103-126. - In diesem Sinne vgl. aber auch O. BECKER, Die Fragwürdigkeit  der Transzendierung der ästhetischen Dimension der Kunst, in: "Philosophische Rundschau", 10 (1962), S. 225-238.

[33][33] Vgl. O. BECKER, Von der Abenteuerlichkeit des Künstlers und der vorsichtigen Verwegenheit des Philosophen, in: G. FUNKE (Hrsg.),  Konkrete Vernunft. Festschrift für Erich Rothacker (1958), cit., S. 29.

[34][34] Über den "Einfluß der Phänomenologie auf Rickert", vgl. M. HEIDEGGER, Phänomenologie und transzendentale Wertphilosophie (Frühe Freiburger Vorlesung SS. 1919), in: ID., Gesamtausgabe, Bd. 56/57, Zur Bestimmung der Philosophie, hrsg. von B. Heimbüchel, Frankfurt a./M., Klostermann, 1987, S. 119-203, hier 177-181.

[35][35] Vgl. M. HEIDEGGER, Zu Odebrechts und Cassirers Kritik des Kantbuches (1931/32), in ID., Kant und das Problem der Metaphysik, cit., V. Anhang, Nr. 10, S. 302: "Das bloß Anthropologische und der Sinngehalt Gesetz, Erscheinung und Ding an sich. Statt Sein und Zeit Sein und Sollen".

[36][36] Vgl. O. BECKER, Die Aktualität des pythagoreischen Gedankens, cit.

[37][37] Vgl. O. BECKER, Platonische Idee und ontologische Differenz (1963), in: ID., Dasein und Dawesen, cit. S. 157-191.

[38][38] Vgl. H. RICKERT, Das Eine, die Einheit und die Eins. Bemerkungen zur Logik des Zahlbegriffs, in: "Logos", II (1911/12), S. 26-78; und ID., Das Eine, die Einheit und die Eins. Bemerkungen zur Logik des Zahlbegriffs, Zweite,  umgearbeitete Auflage, Tübingen, Mohr, 1924.

[39][39] O. PÖGGELER, Der Stein hinterm Aug. Studien zu Celans Gedichten, München, Fink, 2000, S. 10.

[40][40] A. a. O., S. 179 f.

[41][41] Vgl. G. DE NERVAL, El Desdichado, aus: ID.,  Les Chimères (1853/1854), in: ID, Ouvres, Paris, Gallimard, 1952, Bd. I, S. 29 : "Je suis le Ténébreux, - le Veuf, - l'Inconsolé, / Le prince d'Aquitaine à la Tour abolie:/ ma seule Etoile est morte, - et mon luth constellé / Porte le Soleil noir de la Mélancolie. // Dans la nuit du Tombeau, Toi qui m'as consolé, / Rends-moi le Pausilippe et la mer d'Italie, / La fleur qui plaisait tant à mon cour désolé, / Et la treille où le Pampre à la Rose s'allie. // Suis-je Amour ou Phébus? ... Lusignan ou Biron? / Mon front est rouge encor du baiser de la Reine; / J'ai rêvé dans la Grotte où nage la Sirène... // Et j'ai deux fois vainqueur [vivant] traversé l'Achéron: / Modulant tour à tour sur la lyre d'Orphée / Les soupirs de la Sainte et les cris de la Fée".

[42][42] Von diesen Versen des schwierigen Gedichtes Nervals vgl. auch die deutsche Übersetzung von P. CELAN, Gesammelte Werke, hrsg. von B. Allemann und S. Reichert unter Mitwirkung von R. Bücher, Frankfurt a./M., Suhrkamp, 1983, Bd. 4, Übertragungen I, S. 809: "Gib, die du Trost gewußt, der Nacht in meinem Grab / Den Posilip zurück, gib ihr Italiens Meer, / Der Wein- und Rosenlaube, weis ihr den Weg hierher, / Die meinem Gram geleuchtet, die Blume reich herab".

[43][43] BECKER, Von der Abenteuerlichkeit des Künstlers und der vorsichtigen Verwegenheit des Philosophen, cit., in: G. FUNKE (Hrsg.), Konkrete Vernunft. Festschrift für Erich Rothacker (1958), cit., S. 37, spricht vom "rätselvollen Gedicht". "'El Desdichado' erschien zuerst 1853 im 'Mosquetaire', die endgültige Fassung 1854 im Anhang ('Les Chimères') zu 'Les Filles du Feu'. Dort ist 'vivant' durch 'vainqueur' ersetzt. Ich habe mich zugunsten einer 'philosophischen' Interpretation, an dieser Stelle des Gedichts an die weniger emphatische erste Fassung gehalten, bin aber sonst der endgültigen Gestaltung gefolgt" (a. a. O., S. 37, Anm. 4). Die "'philosophische' Deutung", welche Becker von den letzten Versen dieses Gedichtes Nervals gibt, ist die folgende: "Der Mensch, der 'Enterbte und Entwurzelte' weil Ex-zentrische, ist zweimal lebend (vivant) - oder sogar 'siegreich' (vainqueur)? - in das Land jenseits des Achéron, den hyperontologischen Bezirk, vorgedrungen. 'Abwechselnd' (tour à tour) prägt er ihm eine (begriffliche?) Form auf (modulant), auf der 'orphischen Lyra' spielend, Urworte zu sagen bemüht. Was aber soll 'abwechselnd' Gestalt gewinnen? Einmal 'die Seufzer der Heiligen', das Da-sein in der Angst um seine eigentliche Existenz, angesichts des Nichts. Und dann der 'Schrei der Fee' Melusine, dieses da-wesenden Geschöpfs ohne (unsterbliche) Seele, d.h. ohne Ex-sistenz. Sie schreit aber in Verzweiflung, weil sie, entblößt und überrascht, in ihrer ursprünglichen (wenn auch wesenhaft uneigentlichen) Natur sichtbar wurde - oder richtiger sichtbar zu werden drohte; denn, ehe dies geschah, flog sie auf und verschwand in der Luft). / Dawesen kann in der Tat in unmittelbarem Zugriff nicht erfaßt werden, sondern zeigt sich nur dem 'schrägen' Blick, dem logismòs nòthos. So ist der Zugriff, der sich in der Metasprache des Philosophen vollzieht, den 'ersten und letzten Dingen' nicht mehr nahe. Melusine entzieht sich ihm. Immerhin kenn der Philosoph von seiner abenteuerlichen Fahrt uuber den Strom noch einmal zurückkehren, vorsichtig wie er ist bei all seiner Verwegenheit. / Aber was hat es zu bedeuten, daß El Desdichado zweimal die Fahrt über den Grenzfluß der Unterwelt unternimmt? Er tut es einmal als Philosoph, das andere Mal als Künstler, als wirklicher, nicht bloß 'begrifflicher' Dichter. Sollen wir Schelling glauben, wenn er sagt, daß der Künstler - ungleich dem philosophierenden, ewig fragmentarischen - als 'ganzer Mensch wie er ist' zum höchsten Indifferenz- und Identitätspunkt zwischen und über Sein und Wesen gelangt?" (a. a. O., S. 37-38).

 

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